Unexpected Friendship

Naya lächelte ihn an und freute sich schon ein bisschen. Wenigstens war sie nicht die einzige Neue hier in der Stadt. So kam es ihr nämlich vor, denn irgendwie wusste ansonsten immer jeder hier alles. "Ich auch.", meinte sie mit einem etwas wärmeren Tonfall, "Aus Saint Paul." Auf sein Zögern mitten im Satz ging sie erst gar nicht ein. Es ging sie schließlich auch nichts an, warum er eigentlich erst jetzt ausgezogen war. Und wenn er es ihr nicht sagen wollte, dann konnte sie schließlich auch nichts machen. "Ich hab hier aber schon studiert, also kenne ich mich schon ein bisschen aus.", fügte sie noch dazu. Aber diese Zeit hatte sie hauptsächlich im Universitätsgelände verbracht und nicht wirklich in den Wohngebieten. Irgendwie interessierte es sie aber, ob Charlie schon in Kontakt mit den Gangs, vor allem mit der 13th Street Gang gekommen war. Nicht, dass sie es ihm wünschen würde, aber vielleicht war er ja sogar ihrem ehemaligen besten Freund begegnet. "Hast du denn Stress mit ihnen?"

Charlie musterte Naya bei ihren Worten kurz. Saint Paul also. Es war gut zu wissen, dass er nicht völlig alleine neu dazugekommen war, auch wenn das Vermutlich kaum half, denn im Gegensatz zu ihm hatte sie ihre Connections, alles was Charlie momentan hatte, war seine Katze. "Studiert?" Sie schien ja Aussichten auf eine ordentliche Zukunft zu haben. Ihre Frage brachte ihn dann ein wenig aus dem Konzept. "Was? Stress? Nein." meinte er als Antwort. Hatte es sich etwa so angehört? "Ich kann mir aber leider zu gut vorstellen, dass es dazu kommen wird." Seine Stimme war etwas tiefer geworden, als würde er ihm der Gedanke von Grundauf missfallen, was er ja auch tat, denn diejenigen, die innerhalb der Gang als Feind angesehen wurden, waren meist kaum beneidenswert oder eben tot. "Aber naja, wie gesagt. Wäre ich an deiner Stelle, würde ich mich anschließen, denn wies scheint hast du ja ohnehin ein paar Vorteile."

Naya nickte langsam, über ihr Studium. Sie hatte nichts langes studiert. 2 Jahre Betriebswirtschaftslehre, aber das reichte auch eigentlich. Vor allem, weil sie das von dem Geld ihres Vaters getan hatte und das passte ihr überhaupt nicht. Wirtschaft konnte sie eigentlich sowieso, vor allem weil sie Durchsetzungskraft und alles, was man als ein Leiter einer Firma bräuchte, hatte. "Ja, BWL.", meinte sie und zuckte mit ihren Schultern. Sie hörte ihm weiter aufmerksam zu. Er hatte also noch keinen Stress gehabt, konnte es sich aber durchaus vorstellen. "Wärst du an meiner Stelle...", murmelte sie vor sich hin. Plötzlich hatte sie eine Idee. "Wie wäre es, wenn du..." Sie schüttelte den Kopf. Nein, das war eine keine sehr gute Idee. Sie würde so oder so nicht funktionieren. Nicht, dass sie ihre eigenen Ideen unterschätzte, aber sie war nun einmal eine Realistin und wahrscheinlich würde er sowieso nicht zustimmen.

Naya schien ihre Gedanken zu ordnen, denn ihre Stimme wurde leiser und ihre Frage blieb unvollständig. "Wenn ich..?" fragte er nach und kratzte sich am Hinterkopf. Naya schien irgendeine Idee zu haben, die ihr entweder nicht so ganz gefiel oder sie sich nicht sicher war, ob sie ihm gefallen würde. "Oh, nein. Nein." Wenn sie das meinte, was er meinte, dass sie meinte, war das keine gute Idee. Er wäre zwar alleine schlecht dran, aber in einer Gang zu sein schien für ihn schier unmöglich. Was sollte er schon da? "Pass auf. Du hast deine Vorteile, du bist stark, älter als ich, auch wenn ich nicht weiß wie alt genau aber egal, ausserdem hast du Erfahrung. Und ich bin gerade mal 17 und kann so gut wie überhaupt nichts. Das einzige, wozu ich nützen würde wäre etwas zu übersetzen, aber das braucht niemand." Mit einem Lächeln schüttelte er den Kopf und schnaubte. "Bin nicht scharf darauf das Jüngchen dort zu sein." Für ihn gab es wesendlich mehr Gründe dagegen als dafür, auch wenn die Gründe, die dafür sprachen, wesendlich wichtiger waren, aber das beachtete er nicht.

Naya hatte ihn unterschätzt. Natürlich wusste er, was sie sagen wollte und natürlich gefiel ihm ihr Vorschlag nicht wirklich. Sie verstand ihn natürlich. "Ja, das...", sie ließ es unvollendet. Es war ihr schon klar gewesen, aber für einen kurzen Moment hatte sie irgendwie geglaubt, das könnte funktionieren. Sie hörte ihm genau zu und nickte dabei. Als er zu ihrem Alter kam murmelte sie "20.", sie war also ungefähr 3 Jahre älter als er. Gut, eigentlich hätte sie ihn auf 18 geschätzt, aber 17 war auch in Ordnung. In diesem Alter veränderte man sich schließlich kaum mehr. Sie wartete bis er geendet hatte und ließ eine kurze Sprechpause, bevor sie neu ansetzte. "Ich weiß, aber du müsstest auch die Vorteile sehen. Ich könnte ein gutes Wort für dich einlegen und egal ob du wirklich gebraucht wirst, Stress bekommst du als Mitglied auf jeden Fall keinen." Sie sah ihn fragend an. Sie wollte ihn zu nichts überreden oder ihm etwas Aufdrängen, eigentlich wollte sie nur seine Meinung hören, mehr nicht. Wenn er nicht wollte, konnte sie sowieso nichts machen.

Charlie senkte den Blick auf den Boden. Das Angebot kam einfach so aus heiterem Himmel, trotz dass ihm heute sowieso schon alles um die Ohren geflogen war. "Richtig..." murmelte er auf ihren Versuch, ihn zu überzeugen, hin. Es stimmte, er würde so keinen Stress bekommen, was ja sein Ziel gewesen war, und ob er eine Last sein würde oder nicht musste ja nicht seine Sorge sein, immerhin war er doch sonst auch derjenige, der seine Sache durchzog, wenn auch umständlich. Aber warum Naya ihn überreden wollte, leuchtete ihm nicht ganz so ein. Sie kannte ihn doch kaum, er kannte sie kaum, trotzdem vertraute er ihr seltsamerweise. "Also..." began er, die Stirn hatte er leicht gerunzelt. Es würde wohl auch nie jemand auf die Idee kommen, die Katze eines Gangmitglieds anzurühren, oder? "Na schön. Wobei das für mich wahrscheinlich besser ist als für dich, jetzt hast du mich nämlich noch öfter an dir hängen." Er grinste wieder, typisch, daran, dass es strikte Regeln zu beachten gab, dachte er nicht, es interessierte ihn sowieso kaum, was er sollte oder durfte und was nicht.

Auf Nayas Lippen breitete sich unwillkürlich ein Lächeln aus. Und wenn es nicht Charlie gewesen wäre, der neben ihr saß, hätte sie sich wahrscheinlich für ihr Verhalten absolut kein Verständnis aufbringen können. Es war so, als wäre er bereits jetzt ein Freund, dem sie sehr nahe war. Dabei kannte sie ihn erst seit heute. Wobei, wenn manche von so etwas wie "Liebe auf den ersten Blick" sprachen, wieso sollte so etwas nicht für Freunde auch gelten? Auch, wenn sie an solchen irrationalen Quatsch nicht glaubte. "Zuerst sollten wir uns erst einmal Gedanken machen, ob sie uns überhaupt wollen." Der Leader kannte sie nämlich, hatte bis jetzt aber noch keine einzige Andeutung gemacht, dass sie sich anschließen sollte. Aber was sollte schon passieren. Sie zuckte mit ihren Schultern und wollte das Thema wechseln. Wobei, wenn sie schon dabei waren fast täglich rumhängen zu müssen, oder zumindest bei Gangaktionen, dann konnten sie sich mal richtig kennenlernen. Immerhin wollte sie ihn schon genauer kennenlernen, wenn sie sich jetzt eigentlich schon gut verstanden. Komischerweise. "Wie wärs wenn wir jetzt erst einmal Katzenfutter holen gehen und dabei die Stadt besser kennenlernen?"

Charlie nickte leicht, als Naya nach einem Moment wieder die Stimme hob und ihre Gedanken aussprach. Ob sie sie wollten? Naya war aufjeden Fall willkommen, zumindest dachte Charlie das, für seine Aufnahme musste man dann schon etwas Überredenskunst haben, aber das würde schon werden. Auf Naya's Vorschlag hin wurde sein Blick einen Moment lang seltsam geschockt, bevor er sich wieder fasste. "Oh Gott. Die arme Katze! Wie lang hab ich jetzt mit dir geredet? Nicht, dass sie noch irgendwelche Tiere fängt und die frisst, wer weiß was mit den ganzen Krankheiten ist!" Er biss sich auf die Lippe, bevor er sich kurz streckte und endlich einen Blick auf sein Handy warf. Wie man auf Handys von anderen Jungen in seinem Alter Bilder von Frauen finden würde, so fand man auf seinem Unmengen von Katzenbildern. Nicht, als wäre er nicht an einer Beziehung interessiert, nur war es für ihn eben etwas schwer, sich fest zu binden, und er war sowieso der Meinung, dass wenn er etwas wollte, er es fast immer bekam. Fast. Er warf einen Blick auf die SMS, die er bekommen hatte, und lag richtig. Irgendeine ehemalige Freundin aus Italien hatte ihm geschrieben, jedoch antwortete er nicht, sondern murmelte nur schnell und leise "
Mantenere faccia." was soviel wie 'Einfach Fresse halten' bedeutete, bevor er den Blick hob und wartete, dass Naya vorging.

Naya musterte ihn verwirrt. Was da mit seiner Katze war, verstand sie immer noch nicht ganz. Aber das kümmerte sie nicht weiter. Solange er nicht andauernt über sie reden würde, war alles in Ordnung. Sie war zwar kein Gegner von Haustieren, aber sie zählten nicht unbedingt zu ihren Lieblingsthemen. Als er einen Blick auf sein Handy warf, flüsterte er allerdings etwas, was bestimmt nicht Englisch war. "Sag mal, bist du so etwas wie Franzose oder Italiener?", fragte sie ihn leicht misstrauisch. Es war nicht so, dass sie etwas gegen Ausländer hatte, aber es interessierte sie. Sie selbst sah schließlich auch eher ausländisch aus und das zurecht. Ihre Mutter kam ja aus Ungarn und war nur wegen ihrem Vater nach Saint Paul gezogen. Während sie auf seine Antwort wartete, nahm sie sich schon einmal den Schlüssel und ging zur Tür. Jacke brauchte sie keine, denn ihr war so oder so warm genug. Es war aber auch nie wirklich eiskalt in New York. Sie hielt sie für ihn auf, ganz gentle(wo)man-like, und schloss sie dann zweimal ab.

Das Naya sein genervtes Murmeln hörte, war eigentlich unbeabsichtigt, wenn auch nicht weiter schlimm. "Halb-Italiener. Kann aber auch Französisch... und Deutsch." antwortete er und folgte ihr währenddessen, dann ging er nach draussen und blinzelte in die Sonne. Er mochte die Wärme nicht sonderlich, hatte sie nochnie gemocht, allerdings konnte er wohl wenig dagegen tun und es war immernoch besser als Gewitter. "Du bist aber auch nicht aus Amerika, oder?" fragte er genauer nach, ließ den Blick jedoch über die Umgebung schweifen, eine Hand hatte er in seinem Nacken, als würde er überlegen. Die Katze bereitete ihm jetzt wirklich Sorgen, immerhin war sie wirklich noch sehr jung, alleine, und noch dazu hungrig, aber warscheinlich übertrieb Charlie mal wieder etwas. "Wo lang?" Er wusste selbst nicht, warum, aber es schien ihm so, als würde er Naya schon lange kennen, und nicht erst seid eben. Vielleicht lag es daran, dass sie ihm aus der Panik herausgeholfen hatte, ohne großartig zu urteilen oder nachzufragen, im Gegenteil, sie hatte ihn noch beruhigt, auch wenn sie wahrscheinlich nicht sonderlich interessiert darin war, auch nur irgendwem zu helfen. Und jetzt kam sie mit ihm mit durch die Stadt, wie gesagt, als würden sie sich ewig kennen.

Naya nickte auf seine Frage hin. Sie war beeindruckt, dass er so viele Sprachen sprechen konnte, denn die meisten konnten hier einfach nur Englisch. Wobei die meisten Bandenmitglieder soweit sie das mitbekommen hatte, nicht unbedingt immer ganz amerikanisch waren. "Ähm ja, meine Mutter ist aus Ungarn, ist aber wegen meinem Vater nach Amerika. Buta liba." Buta liba bedeute soviel wie dumme Gans, aber sie wollte ihm noch nicht erzählen, dass sie mit ihrem Vater nie wirklich zurecht gekommen war. Wobei das die Untertreibung des Jahrhunderts war. Auf seine Frage hin, sah sie sich um. Wohin sie mussten, war sie sich nicht hundert prozentig sicher, aber was sollte schon passieren. "Soweit ich weiß kommt man da lang in Richtung Innenstadt.", meinte sie, deutete nach rechts und zuckte mit ihren Schultern. "Und wie ist deine Mutter, dein Vater, wer auch immer bei ihnen italienisch ist, nach Amerika gekommen?", fragte sie ihn nebenher. Jetzt, wo sie schon mit Smalltalk begonnen hatten, wollte sie auch mehr von ihm wissen.

"Ungarn..." wiederholte Charlie und sah Naya kurz in die dunklen Augen, bevor er den Blick wieder abwand und in die von ihr angedeutete Richtung blickte. Er nickte, dann hörte er der 20-Jährigen weiterhin zu. Es erstaunte ihn, dass sie Interesse an seiner Vergangenheit zeigte, trotzdem erzählte er einfach das, was sie wissen wollte. "Ah. Mein Vater ist Italiener. Wegen der Arbeit, wir sind sooft umgezogen, dass es sich schon nichtmehr gelohnt hatte, überhaupt auszupacken, aber in Amerika war er nicht. Dort bin ich erst mit meiner Mutter hingezogen, als dieser Drecksack keinen Bock mehr auf uns hatte." Dass sie noch viel mehr Stress mit ihrem Vater gehabt hatte, konnte er ja nicht ahnen, aber wenigstens konnte sie so nachvollziehen, weshalb er diese Wortwahl traf. "Naja und zu meiner Mutter hab ich auch keinen Kontakt mehr, also bin ich nurnoch ein Typ mit 'ner Katze." Er grinste, denn mehr gab es dazu nicht zu sagen. Er hatte den Blick nach vorn gerichtet, als er Naya dann schließlich fragte. "Und was ist mit deinen Eltern?" Ihm war klar, dass es bestimmt kein gutes Thema war, worauf er sie hätte ansprechen können, aber sie konnte ja immernoch schweigen.

Nayas Haltung versteifte sich etwas, als er nach ihren Eltern fragte. Es war nicht, dass es sie störte, dass er danach fragte, aber diese Informationen waren gefährlich. Und gingen ihr auch eigentlich zu nahe. "Ehrlich oder verschönert?", fragte sie ihn und bemühte sich, nicht allzu giftig zu klingen. Er konnte schließlich nichts dafür, dass ihr Vater so ein... nein, für ihn gab es wirklich kein Wort. Natürlich wollte er es ehrlich. Sie nickte und atmete einmal tief durch. "Also, ich fasse mich kurz. Mein Vater hat mich gehasst und das auch an mir ausgelassen. Prügel..." Sie lächelte bitter. "...hätte ich noch lieber gehabt, als das was ich bekommen habe." Sie senkte ihre Stimme etwas und sah ihn nicht mehr an. "Du hast meinen Namen bestimmt schon gehört. William Ethan Blacksmith, ermordet. Das war ich. Und meine Mutter will mich nicht mehr sehen, deshalb bin ich hier." Sie biss sie auf die Lippe und merkte erst jetzt, dass ihre Hände zitterten. Es war noch zu frisch, sie war einfach noch nicht bereit in ihrem meistens so neutralen Tonfall darüber zu reden. Hoffentlich würde sie Charlie jetzt nicht auch so verurteilen wie ihre Mutter, der es komplett egal gewesen war, was ihr Mann mit ihrer Tochter tat. Oder sie wollte es einfach nicht wahrhaben, weshalb sie es einfach ignorierte.

Charlie bemerkte kaum, wie Naya sich anspannte und versteifte, erst als sie dann fragte, ob er das alles ehrlich oder verschönert hören wollte, sah er sie kurz an. "Ehrlich." antwortete er ruhig, dann hörte er ihr aufmerksam zu. Als sie den Blick abwandte, konnte er sich schon denken, dass ihre Erzählung noch unschöner werden würde, als es ohnehin schon der Fall war. Als sie den Namen ihres Vaters dann nannte und hinzufügte, dass sie es gewesen war, die ihn getötet hatte, schwieg Charlie noch ein paar Herzschläge lang. Sein Gesichtsausdruck schien eher kühl zu wirken, fast wie nach einem seiner Panikattacken, nur dass er momentan vollkommen klar denken konnte. "Das Arschloch hat's verdient." antwortete er schließlich knapp, bevor er kurz den Arm um Naya's Schulter legte, aber ohne ihr das Gefühl zu geben, bemittleidenswert zu sein. Er selbst hasste es, aufs übelste bemittleidet zu werden, also ließ er es für gewöhnlich auch bei anderen Personen. Er ließ wieder los und seufzte, den braunen Blick nach vorn gerichtet. Erstaunlich, wie ernst der 17-Jährige doch ab und zu sein konnte, wenn es nötig war.

Naya sah ihn etwas erstaunt an, als er einfach so seinen Arm kurz um ihre Schulter legte. Es fühlte sich vertraut an und er achtete darauf, dass es sich nicht so anfühlte, als ob er sie bemitleidete. Erstaunlich fürsorglich und freundlich von ihm. "Danke.", murmelte sie und richtete ihren Blick ebenfalls wieder nach vorn. Es schien ihr, als ob ihr plötzlich ein Stein vom Herzen fiel, und es fühlte sich schon besser an. Alles war in Ordnung. Eigentlich hatte sie ja nichts allzu schlimmes getan, oder? Plötzlich stoppte sie und schaute nach rechts. Hatte sie's doch gesehen. Ein schmuddelig-aussehendes Geschäft war dort. "Versuchen wirs mal hier?", fragte sie Charlie und beendete so das Thema über die werte Familie. Vielleicht würde sie ihm irgendwann die ganze Geschichte erzählen, aber eigentlich wollte sie so etwas nicht tun. Sobald sie das tun würde, wäre sie verletzbar, auch wenn Charlie ihr niemand schien, der sie einfach so verletzen würde. Aber man wusste schließlich, wem man im Endeffekt trauen konnte. Niemandem.

Charlie nickte bei ihrem leisen 'Danke' nur knapp, dann schwieg er kurz, bis Naya wieder den Blick hob und nach Rechts sah. Er folgte ihrem Blick, sah den eher schmuddelig wirkenden Laden kurz an und rümpfte dann die Nase. "Du... Also ich will Mittens echt nichts Verseuchtes geben. Sie ist empfindlich." meinte er ehrlich und warf Naya einen eher zweifelnden Blick zu. Wie locker er auch die Dinge sah, wenn es um seine Katze ging, wurde er echt verdammt pingelig und verstand keinen Spaß, fast schon wie eine überfürsorgliche Mutter, und das konnte schon etwas seltsam rüberkommen, aber er erwartete auch garnicht, dass irgendjemand diese Liebe verstand. Er zupfte wieder an seinem braunen Shirt und knirschte mit den Zähnen, dann sah er sich weiter um. In dem Stadtgebiet war er, soweit er wusste, noch nicht gewesen, kannte sich also nicht aus, aber er hatte ja Naya an der Seite. Es war seltsam, wie vertraut ihm die 20-Jährige schon vorkam, trotz des Altersunterschiedes, aber es gab eben seltsame Freundschaften, nicht?

Naya schmunzelte nur über sein Verhalten. Sie wusste, dass er es ernst meinte, aber es war schon komisch, wie sehr er sich um seine Katze sorgte. Sie zuckte also mit ihren Schultern und zog ihn um eine Ecke. Ein paar Schritte weiter standen sie im etwas teueren Gebiet und promt fand sich ein hübscher Laden. "Man muss nur wissen wo man hinmuss,... oder man geht einfach um irgendeine Ecke. Also, dass wir zurückfinden kann ich dir nicht garantieren." Sie zuckte entschuldigend mit ihren Schultern. Sie hatte eigentlich keinen schlechten Orientierungssinn, aber in dem ganz neuen Gebiet, konnte sich einfach niemand auskennen. Sie zog ihn also in den Laden. Zwar hatte sie keine Ahnung von Katzenfutter, aber es musste doch irgendwo einen Unterschied geben. Die Sachen hier waren zwar auch nicht so teuer, dass sie sich nur Milliardäre leiten könnten, aber zumindest schienen sie alle relativ in Ordnung zu sein. "Wie sieht... ähm, Mittens denn so aus?", fragte sie ihn. Wenn sie schon extra wegen einer Katze herumliefen, wollte sie wenigstens wissen, was es mit ihr auf sich hatte. Charlie war immerhin offensichtlich in sie verliebt.

Charlie ließ sich von Naya mitziehen und sah sich in dem neuen Gebiet um. Es war schon witzig, dass es einen solch großen Unterschied gab, obwohl sie gerade erst um eine Ecke gebogen waren, aber New York war wohl nicht umsonst eine Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Auf Nayas Anmerkung hin, dass sie womöglich nicht zurückfinden würde, lachte er leise und schüttelte dann den Kopf. "Klappt schon." meinte er optimistisch, bevor er sich in dem Laden, in den ihn Naya gezogen hatte, umsah. Naya's Frage riss ihn dann ein wenig aus den Gedanken. Er musste grinsen, zog sein Handy aus der Hosentasche und öffnete die Galerie, dann drückte er es Naya in die Hand und wittmete sich wieder den Regalen. Der Ordner mit den Kamerabildern war voll mit Bildern von Mittens, dazwischen vielleicht noch ein paar Bilder von ehemaligen Freunden aus anderen Ländern und sogar ein paar, wenn nicht sogar relativ viele Bilder seiner Ex, manchmal zusammen mit ihm, wobei er die Bilder hatte löschen wollen, aber war ja auch egal.

Naya war erstaunt über den Inhalt des Ordners. Sie hatte noch niemanden mit so vielen Katzenbildern gesehen. Oder zumindest keinen Jungen in seinem Alter. Bei älteren Damen war eine Übertrumpfung vielleicht möglich. Langsam scrollte sie durch die scheinbar endlose Reihe an Bildern von der Katze. Sie war ja ganz süß, keine Frage, aber so viele Fotos waren dann auch nicht nötig. "Die ist echt niedlich.", meinte sie nur, dachte sich aber Und du bist ein ganz schön verknallter Idiot. Verknallt in deine Katze?. Sie schüttelte kaum merklich ihren Kopf und hielt ihm das Handy wieder hin. Immerhin war sie nicht seine eifersüchtige Freundin, die jetzt in seiner ganzen Kontaktliste nach Leuten suchen würde, die mit einem "<3" oder so eingespeichert waren. "Hier." Sie lächelte leicht und sagte nebenbei "Ich hab kein Haustier.". Wobei ihm das wahrscheinlich schon aufgefallen war, denn war er ja schon in ihrer Wohnung gewesen. Wie schnell sie vergessen hatte, dass sie praktisch einen Fremden in ihre Wohnung getragen hatte. Nunja, immerhin mochte sie ihn ja jetzt. Ziemlich sogar, auch wenn das mit der Katze etwas schräg war.

Charlie nahm ein paar unterschiedliche Dosen Katzenfutter aus dem Regal und beachtete Naya fast nicht, bis sie anmerkte, dass seine Katze niedlich sei. Er grinste, nahm das Handy entgegen und steckte es wieder in seine Hosentasche, bevor er sich wieder der Auswahl an Futter wittmete, Naya aber weiterhin zuhörte. "Warum eigentlich? Ich meine, du wohnst alleine, das wird doch irgendwann auch langweilig, nicht?" Kurz lehnte er die gestapelten Dosen an das Regal, nahm noch andere Dinge raus und legte alles auf den Stapel, bevor er den Blick hob, an das andere Ende des Ladens blinzelte und dann an die Kasse ging, wo er alles abstellte. "Brauchst du noch was?" fragte er an Naya gerichtet, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und gähnte dann leicht. Es war fast schade, dass der Tag so schnell vorrüber ging, denn irgendwie hatte Charlie das Gefühl, dass er Naya so schnell nicht wieder sehen würde. Irgendwie seltsam. Kurz sah er sie an, hob fragend eine Augenbraue und ignorierte die Frau an der Kasse kurz.

Naya zuckte mit ihren Schultern. Es war ihr bis jetzt einfach noch nicht in den Sinn gekommen, dass sie vielleicht ein Haustier haben könnte. Wobei sie wirklich gerne einen Hund hätte. "Weiß nicht.", meinte sie gleichgültig. Vielleicht hatte er recht, es würde langweilig werden. "Wohnst du eigentlich bei mir in der Nähe?" Wo er schon in ihrer Wohnung gewesen war, hatte sie immerhin ein Recht darauf auch seine zu sehen. Naja, eigentlich war er nur im Wohnzimmer gewesen, aber es zählte. Schließlich war er quasi ein Fremder gewesen. Auf seine Frage hin, ob sie noch etwas bräuchte, überlegte sie kurz und schüttelte dann den Kopf. Sie war gestern schon einkaufen gewesen und wie gesagt, mehr als sich selbst musste sie ja nicht versorgen. "Nein eigentlich nicht." Sie ließ ihren Blick zu der Frau an der Kasse schweifen und musste unwillkürlich grinsen. Ihr genervter Blick sagte aber auch wirklich alles. Sie sollten sich beeilen und dann bloß von hier abhauen. Tja, dann würden sie ihr mal nicht ihren Wunsch verwehren. Zu lange wollte sie sowieso nicht hier bleiben.

Charlie nickte auf ihre Frage hin. "Ja, also lang war ich nicht unterwegs bis zu der... Gasse..." Er runzelte leicht die Stirn und zuckte dann mit den Schultern. "Kannst ja gleich einfach mitkommen, dann siehst du Mittens in Lebensgröße." Wieder musste er Grinsen, lachte leicht und drehte sich dann zu der genervt wirkenden Kassiererin um, die den Blick zu ihm hob. Ein freches, gut gelauntes "Guuuten Tag!" konnte sich Charlie nicht verkneifen, denn er wusste, dass es ziemlich nerven konnte, war der Gegenüber im Gegensatz zu einem selbst zu gut drauf und fast schon aufgedreht. Die Kassiererin murmelte ein leises "Tag." bevor sie den Preis nannte und das Geld entgegen nahm. Charlie grinste weiterhin, auch wenn er es sich sichtlich verkneifen musste. Er packte den Einkauf in eine Tüte, bevor er die Frau an der Kasse nocheinmal ansah. "Einen wunderschönen Abend wünsche ich ihnen noch." mit den Worten und dem komischen Blick der Frau im Rücken drehte er sich um und verließ den Laden, dann sah er Naya an. "Also?"

Naya hatte ihn zwar nicht unbedingt nach seiner Katze gefragt, sondern nach seiner Wohnung, aber sie konnte ihn schlecht davon abhalten, über die Liebe seines Lebens zu reden. Irgendwie fragte sie sich, was passieren würde, wenn seine Katze irgendwann in 15-20 Jahren an Altersschwäche sterben würde. Achja, sie hatte eben doch eine sadistische Ader, wobei sie sich wahrscheinlich nicht darüber freuen würde, denn er würde dann wohl andauernt bei Freunden rumheulen. Na hoffentlich hatte die Katze ein langes Leben. Zu der Kassiererin sagte sie nichts, aber als er ihr noch einen wunderschönen Abend wünschte, beschloss sie auch noch etwas zu sagen. "Und machen sie nicht so ein ernstes Gesicht. Davon bekommt man nur Falten.", meinte sie zuckersüß und lächelte breit. Unnatürlich breit für sie. Wobei sie heute wirklich oft gelächelt hatte und das alles wegen Charlie. Wobei es irgendwie meistens deshalb war, weil er einfach ein Kindskopf war. "Klar, ich würde gerne deine Wohnung sehen.", meinte sie auf die Nachfrage hin und lächelte leicht. Wenn er schon wusste wo sie wohnte, wollte sie ihn wenigstens im Falle auch stalken können.

Charlie lachte bei Naya's Bemerkung und hielt sich dann kurz den Mund zu, bevor er sich wieder umsah. "Okay... Uhm." Er drehte sich in die Richtung, aus der sie gekommen waren, dann nickte er, als wollte er seine eigenen Gedanken bestätigen. "Gut, dann hoff ich mal, dass ich genug Grips hab, mich nicht wieder zu verlaufen." Er zog Naya ein kleines Stück mit, bevor er sie losließ. Den Weg zurück zu der Gasse fand er relativ schnell, dann musste er schon überlegen und wurde auch etwas langsamer. Seine Wohnung lag eher stadtmittig, nicht so abgelegen, trotzdem hatte er sich die Umgebung bis jetzt nur wenig eingeprägt.
Nach ein paar falschen Wegen fand er sie endlich. Er schnaubte, froh darüber, nicht noch mehr laufen zu müssen. Mit der freien Hand sperrte er die Haustür auf, trat in die helle Wohnung ein und Grinste, als Mittens ihm schon entgegengelaufen kam. Er nahm sie auf den Arm, dann drehte er sich zu Naya um und sah sie kurz an. "Nicht so groß wie deine Wohnung. Da ist das Wohnzimmer." Er nickte nach links, grinste und hob die Tüte vom Boden auf, während die kleine Katze auf seine Schulter kletterte. "Warte kurz..." Er selbst verschwand in der Küche.

Naya sah sich in der Zwischenzeit etwas um. Seine Wohnung war wirklich etwas kleiner als ihre, aber das störte kaum. Sie wirkte gemütlich und vor allem sehr hell. Während sie wartete, sah sie sich etwas im Wohnzimmer um. Diese Katze hatte ihm also den Kopf verdreht. Naja, wenigstens hatte sie jetzt ein sehr schönes und behütetes Leben. Plötzlich vibrierte ihr Handy. Und wie der Zufall es so wollte, es war tatsächlich ihr Ex-bester Freund. "Hi, was gibts?" Sie hörte ihm zu, während sie sich weiter umsah, und auf einmal verformten sich ihre Lippen zu einem Grinsen. "Gut, aber ich habe eine Bedingung. Ich bring sie, obwohl nein... ihn morgen dann einfach mit." Sie legte ohne eine Verabschiedung auf. Schließlich kümmerte es sie sowieso nicht, was er von ihr dachte. Das lief ja schon besser als erwartet. Und vor allem so schnell hätte sie nicht damit gerechnet. Zum Glück hatte sie Charlie heute getroffen und nicht erst morgen. Dann wäre es schon zu spät gewesen.